Als man das Bier aus silbernen "Stroh"-Halmen trank

von Conrad Seidl 23/01/2022
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Als man das Bier aus silbernen "Stroh"-Halmen trank

St. Petersburg / Oxford - Aus diesen Trinkhalmen ist schon lange nichts mehr getrunken worden - und bis vor Kurzem war auch gar nicht klar, dass es sich um "Stroh"-Halme handelt: Die  acht dünnwandigen Röhren, die 1897 bei der bronzezeitlichen Ausgrabungsstätte Maikop im südlichen Kaukasus (heute in Russland) gefunden und in die Eremitage gebracht worden sind, galten lange als Szepter oder als Bestandteile eines Baldachins. 

Die Archäologen Viktor TrifonovDenis Petrov und Larisa Savelieva (Russische Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg) haben im Magazin Antiquity unter dem Titel "Party like a Sumerian: reinterpreting the ‘sceptres’ from the Maikop kurgan" eine ganz andere plausible Erklärung geliefert: Es dürfte sich um Trinkrohre zum Bierkonsum handeln. "Eine erneute Untersuchung dieser Objekte legt jedoch nahe, dass sie als Röhren für das gemeinsame Biertrinken mit integrierten Filtern zum Entfernen von Verunreinigungen verwendet wurden. Wenn dies richtig ist, stellen diese Objekte die frühesten materiellen Beweise für das Trinken aus langen Schläuchen dar – eine Praxis, die im dritten und zweiten Jahrtausend v. Chr. im alten Nahen Osten bei Festen üblich wurde", heißt es in der renommierten Publikation.

Schlitze als Filter

Die Spitzen der acht rund einem Meter langen Röhren haben ein graviertes, spiralförmiges Design, das drei oder vier schmale Windungen oder Bänder um das abgeflachte Ende der Spitze darstellt. Jede Spitze verfügt außerdem über vier Reihen ausgerichteter, schmaler, vertikaler Schlitze, die innerhalb des Spiraldesigns angeordnet sind. Versteht man die Röhren als Trinkröhren, dann liegt es nahe, diese Schlitze mit jenen zu vergleichen, die man etwa im Boden eines Läuterbottichs findet: Sie dürften einen einfachen Filter dargestellt haben.  

Rückstände an der Innenfläche eines Röhrchens in der Nähe seiner verjüngten Spitze enthalten Gerstenstärkekörner, weitere Getreidepartikel und ein Pollenkörnchen von einer Linde, berichten die Wissenschaftler. Das Volk, das nach der Fundstätte Maikop genannt wird (wie sie sich selbst genannt haben, wissen wir nicht), hat in Südrussland und Südosteuropa gelebt. Und es hatte wahrscheinlich kulturelle Verbindungen zu Sumerern, die in der Nähe des Persischen Golfs lebten, sagen die Forscher. Und da wird es für Bier-Historiker vertraut: Mehr als 4000 Jahre alte sumerische Schnitzereien zeigen Menschen, die mit langen Strohhalmen aus Gemeinschaftsgefäßen trinken.

Trifonov hat in einer schematischen Zeichnung nachempfunden, wie die Menschen damals um einen großen Quevis gesessen sind und durch Trinkhalme das aus Getreide gegorene Bier, in dem noch feste Bestandteile enthalten waren, getrunken haben. So wird auch plausibel, dass die Röhren eingebaute Fliter hatten: Die Feststoffe wollten die Biertrinker eben nicht mittrinken. 

https://www.cambridge.org/core/journals/antiquity/article/party-like-a-…