Das Stout aus dem Schwarzwald

von Conrad Seidl 16/05/2022
Nachrichten
Das Stout aus dem Schwarzwald

Stuttgart - Kürzlich hatte ich Gelegenheit, ein paar Tage im Schwarzwald zu verbringen und dabei die Familie Ketterer zu besuchen. Das ist eine Brauerfamilie, deren Brauerei in Hornberg einen erst vor wenigen Wochen durch die Freiburger Historikerin Ida Vollmar erforschten Ursprung hat. Die junge Forscherin hatte sich dem Thema „Unehelichkeit in Südwestbaden im 19. Jahrhunderts“ gewidmet und war auf die Taglöhnerin Theresia Ketterer gestoßen. Diese war mangels Vermögen unverheiratet geblieben und hatte ihren 1847 geborenen unehelichen Sohn Michael im Alter von 14 Jahren gemeinsam mit einer Kuh an die damalige Hornberger Schlossbrauerei abgegeben – man stellt das als „Verkauf“ dar, weil die Kuh quasi das Lehrgeld für den jungen Mann darstellte.

Und Michael Ketterer nutzte seine Chance: Er absolvierte die Brauerlehre, ging auf Wanderschaft, bewährte sich als Vorderbursche und heiratete 1877 in eine kleine Gastwirtschaft mit Hausbrauerei ein – den Nukleus für die heutige Brauerei Ketterer.

Zwei Jahrzehnte Erfahrung mit starkem Stout

Aber diese neu aufgerollte Familiengeschichte war nicht der wahre Grund meines Besuchs. Der galt vielmehr einem besonderen Bier, dessen Ursprung in einem langen Gespräch liegt, das ich mit Seniorchef Michael Ketterer (dem Ururenkel des Brauereigründers) vor mehr als 20 Jahren geführt habe. Es ging darum, dass wir beide gerne Stoutbier trinken – und dass es doch interessant wäre, ein Stout in Bockbierstärke zu brauen. Das war damals in Deutschland noch unüblich: Den Bierstil Imperial Stout kannten damals hierzulande nicht einmal Fachleute. Und schon gar nicht die Konsumenten im Schwarzwald. Das 7,5 Prozent starke, tiefschwarze und mit Stouthefe vergorene Starkbier wurde also als „Schützen-Bock“ in die traditionellen Bügelverschlussflaschen gefüllt.

Ende der 1990er Jahre hätte wohl niemand geglaubt, dass ihm damit ein Bier vorgesetzt würde, das mit jenen stark eingebrauten Stouts verwandt ist, die im England des 19. Jahrhunderts für den russischen Zarenhof gebraut wurden und daher als „(Russian) Imperial Stout“ einen sehr exklusiven Charakter hatten.

Das Besondere an jenen englischen Bieren war, dass sie – durch hohen Alkoholgehalt und die dunklen Malze vor vielen möglichen Fehlgeschmäckern geschützt – in der Flasche ziemlich lange weiterreifen können. Die dafür notwendige jahrelange Geduld haben im Schwarzwald natürlich nicht sehr viele Konsumenten aufgebracht.

Wer aber einige „Fläschle“ zurückgelegt hat, wird für das Warten mit einem außergewöhnlichen Genuss belohnt. Zum Beispiel jene Probe aus dem Herbst 2005, die ich soeben dekantiert habe. Tiefschwarz und ohne Schaum liegt das Bier im Kostglas. Es verströmt einen intensiven Duft nach Kakao und Edelbitter-Schokolade – und bietet dasselbe auch im Trunk. Er startet mit leichter Süße, einem fast cremigen Mundgefühl, der an Schokopudding erinnert. Dazu eine wärmende, alkoholische Schärfe und retronasal Aromen von Kirsche – wer würde da nicht gleich an Schwarzwälder Kirsch denken? Eine leichte Bittere zeigt sich nur im Nachtrunk.

Die Geschichte setzt sich aber fort: Seit einigen Jahren wird das Bier tatsächlich als „Black Forest Stout“ etikettiert und hat gute Aufnahme in der Craftbier-Community gefunden. Allerdings ist es mit knapp sechs Prozent Alkohol deutlich leichter – ob die aktuelle Version auch in 16 Jahren noch schmecken wird, muss sich erst zeigen.

(Diese Kolumne erschien zuerst in Der Getränkefachgroßhandel 1/2022)